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Intersektionalität statt Eindimensionalität und Addition

„Unter Intersektionalität wird (…) verstanden, dass soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, Nation oder Klasse nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren ‚Verwobenheiten‘ oder ‚Überkreuzungen‘ (intersections) analysiert werden müssen. Additive Perspektiven sollen überwunden werden, indem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht allein um die Berücksichtigung mehrerer sozialer Kategorien, sondern ebenfalls um die Analyse ihrer Wechselwirkungen.“ Walgenbach 2012.

Das Konzept der Intersektionalität spielte eine zentrale Rolle in der Entstehung und Entwicklung von Gender- und Diversityforschung an Hochschulen beziehungsweise deren Vorläufern. Diese sind durch eine deutliche Politisierung der Forschung und auch eine Überschneidung von sozialen Bewegungen und Forschung geprägt.

Der Begriff Intersektionalität wurde von der US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw eingeführt, die die Metapher einer Straßenkreuzung verwendet, um spezifische Formen von Diskriminierung zu beschreiben, die weder rechtlich noch politisch ausreichend erfasst wurden, weil sie entweder eindimensional oder nur additiv gedacht wurden. Am Beispiel der rechtlichen Situation Schwarzer Frauen zeigt sie, dass erst eine intersektionale Perspektive zu einem angemessenem Verständnis unterschiedlicher sozialer Positionen und der Betroffenheit von struktureller Diskriminierung führt. Eine alleinige Beschäftigung mit Sexismus reicht genau wie die ausschließliche Analyse von Rassismus nicht aus, da gerade durch die Verschränkung eine besonders prekäre Lage entsteht.

Auch im Kontext der zweiten westdeutschen Frauenbewegungen und daraus entstehenden Frauenforschung stellte sich die Frage, wer denn das Subjekt „Frau“ aus intersektionaler Perspektive eigentlich sei:

„Gemeinsam machten Schwarze Frauen, Migrantinnen, Jüdinnen, Lesben und Frauen mit Behinderungen in der BRD die Erfahrung, dass sie im feministischen Mainstream als ‚die Anderen‘ repräsentiert und verobjektiviert wurden. Ihre Themen und Forderungen wurden entweder nicht wahrgenommen oder als ‚Spezialinteressen‘ bagatellisiert. Im Gegenzug stellten marginalisierte Feministinnen und Frauen die Vereinnahmung durch ein ‚feministisches Wir‘ vehement in Frage.“ Walgenbach 2012.

Für die Forschung und Lehre ergibt sich daraus, dass die Heterogenität sozialer Gruppen besondere Berücksichtigung finden sollte. Menschen haben nicht nur eine geschlechtliche Identität, sondern sind auch jünger oder älter, gehören unterschiedlichen oder keiner Religion an und haben verschiedene sexuelle Orientierungen. Diese Dimensionen von Diversity oder Strukturkategorien stehen nicht unverbunden nebeneinander oder addieren sich nicht einfach inkludierend oder exkludierend. Auch Erfahrungen von Diskriminierung und Privilegierung sind nicht eindimensional, sondern komplex.

Beispiel: Daten zur Zusammensetzung der Professor*innenschaft werden hinsichtlich ihrer Zusammensetzung nach Geschlecht oder Staatsangehörigkeit erhoben. Erst durch eine intersektionale Analyse wird jedoch erkennbar, dass bei Frauen und Personen mit Migrationsgeschichte die soziale Herkunft noch entscheidender für den Weg zur Professur ist als bei anderen Wissenschaftler*innen.

Beispiel: In der Rechtswissenschaft wird der Umgang mit dem muslimischen Kopftuch kontrovers diskutiert. Geschlecht und Religion sind hier bedeutsame Faktoren, aber die verhandelten Fälle zeigen, dass auch antimuslimischer Rassismus und Bildung mitgedacht werden müssen.

Für Gender und Diversity in Lehr- und Studieninhalten bedeutet Intersektionalität, immer wieder die Verschränkungen und Überkreuzungen von Gender bzw. verschiedenen Diversity-Dimensionen in den Blick zu rücken, um so Homogenisierungen zu vermeiden und tatsächlicher Komplexität Rechnung zu tragen.

Mittlerweile wurden unterschiedliche theoretische und methodische Verwendungen des Intersektionalitätskonzept in verschiedenen Disziplinen ausgearbeitet. Mehr Material zu Theorie, Forschung und Praxisprojekten im Portal Intersektionalität.


Literatur:

Collins, Patricia Hill, und Sirma Bilge. 2016. Intersectionality. Cambridge, Malden, MA: Polity.

Crenshaw, Kimberlé. 1989. Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In University of Chicago Legal Forum 1: 139-167.

Crenshaw, Kimberlé. 1991. Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. In Stanford Law Review 43: 1241-1299.

Walgenbach, Katharina. 2012. Intersektionalität - eine Einführung. 



Version April 2017. Soweit nicht anders gekennzeichnet, ist dieses Werk unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz lizensiert.