Springe direkt zu Inhalt

Nach Leerstellen und aus ungewohnten Perspektiven fragen

In Fachkulturen spiegeln sich gesellschaftliche Normen wider, oftmals ohne dass wir uns dessen bewusst sind. So können Fachkulturen vergeschlechtlicht sein (z.B., indem es klar getrennte männlich oder weiblich konnotierte Tätigkeitsbereiche gibt), oder aus einer ausschließlich europäischen Perspektive auf ihre Gegenstände blicken. Erscheinen diese Blickwinkel als einzig mögliche, objektive und wahre Zugänge zum Thema, ist das entstehende Wissen weniger multiperspektivisch als es möglich wäre, die Gefahr eines verengten Blickfeldes nimmt zu.

Eine intersektionale gender- und diversitätsbewusste Lehre ermuntert Studierende, gewohnte Perspektiven zu erweitern, kritisch zu reflektieren oder ggf. auch zu verlassen, und sich wissenschaftlichen Fragen und Gegenständen aus anderen, nicht weniger wissenschaftlichen Blickwinkeln zu nähern.

Beispielfragen für eine solche Herangehensweise wären: Welche Autor*innen und Forschende gehören zum Kanon eines Faches? Welche nicht? Warum bzw. seit wann ist das so? Lassen sich bekannte Autor*innen / Forschende einer kritischen Neulektüre unterziehen, die deutlich macht, wie sie zu ihren Standpunkten und Ergebnissen gekommen sind, in welche Machtverhältnisse oder Interessenkonflikte sie verstrickt sind, und wie ihr Wissen historisch Eingang in weitere gesellschaftliche Bereiche gefunden hat? 'Haben' technische Innovationen ein Geschlecht, eine Hautfarbe, eine soziale Klasse? Wie lassen sich wissenschaftliche Kontroversen um bestimmte Themen historisch nachvollziehen? Wie entstehen (und vergehen) wissenschaftliche Paradigmen? Welche Forscher*innen hatten Anteil an der Entwicklung heute relevanter Theorien oder bahnbrechender Erfindungen - und werden sie ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt? Welche Erkenntnisse ergeben sich, wenn eine andere Perspektive eingenommen wird, und in welchem Verhältnis stehen 'neues' und ‚bekanntes’ Wissen zueinander?

In ihrem Text 'Neue Selbstverständlichkeiten etablieren – post-normalistische Perspektiven im Studium der Sozialen Arbeit' stellen Jutta Hartmann, Swantje Köbsell und Barbara Schäuble anschauliche Beispiele aus ihrer Lehre vor, in denen ungewohnte, post-normalistische Perspektiven auf Heterosexualität, BeHinderung und Migration eingenommen werden.


Weiteres dazu unter: Fachspezifische Zugänge
Literatur und Links:

Bath, Corinna. 2015. De-Gendering informatischer Artefakte.

Dhawan, Nikita. 2014. Decolonizing enlightenment: transnational justice, human rights and democracy in a postcolonial world. Opladen [u.a.]: Budrich.

Hartmann, Jutta, Swantje Köbsell, und Barbara Schäuble. 2018. Neue Selbstverständlichkeiten etablieren – post-normalistische Perspektiven im Studium der Sozialen Arbeit. In: Freie Universität Berlin. Toolbox Gender und Diversity in der Lehre.

Matsuda, Mari J. 1991. Beside My Sister, Facing the Enemy: Legal Theory out of Coalition. Stanford Law Review 43: 1183-1192.

Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript.