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Genderbewusste Sprache im Wandel

Sprache verändert sich andauernd, z.B. indem neue Wörter hinzukommen und andere aus dem Sprachgebrauch verschwinden. Ein Teil des sprachlichen Wandels entsteht durch Interventionen gegen sprachliche Diskriminierung. Die Vorstellungen davon, wie genderbewusste Sprache aussieht, hat sich in den letzten 50 Jahren auch verändert.

Lange richtete sich das Engagement für geschlechtergerechte Sprache gegen die sprachliche Diskriminierung von Frauen durch die ausschließliche Verwendung der männlichen Form. Gerade in wissenschaftlichen Publikationen wurde diese Praxis häufig durch eine Fußnote ergänzt, laut der Frauen mitgemeint seien und dass aus Gründen der Lesbarkeit oder Ästhetik auf geschlechtergerechte Sprache verzichtet werde. 

Wenn in gesprochener oder geschriebener Sprache ausschließlich die männliche Form (das generische Maskulinum) verwendet wird, entsteht bei Zuhörenden oft der Eindruck, dass es sich bei den beschriebenen Personen ausschließlich um Männer handelt. Luise F. Pusch demonstriert das in dem Satz:„99 Sängerinnen und ein Sänger sind zusammen 100 Sänger“ (Pusch 1990). 

Welche Bilder haben Sie vor Augen, wenn Sie Formulierungen wie „Tutoren gesucht“ oder „talentierte Nachwuchswissenschaftler“ lesen oder hören? 

Mittlerweile haben verschiedene empirische Untersuchungen gezeigt, dass das generische Maskulinum Einfluss auf die Bilder in unseren Köpfen hat und eine verzerrte Vorstellung von Wirklichkeit erzeugt. Das ist deshalb problematisch, weil Frauen* und ihre Leistungen auf diese Weise unsichtbar gemacht werden. Zum Beispiel in Bezug auf Vorbilder, Selbstwirksamkeit oder unsere Vorstellung davon, wer in dieser Gesellschaft von Bedeutung ist, kann Sprache großen Einfluss haben. Daher sollten wir an Hochschulen sprachlich genau sein und das diskriminierende generische Maskulinum vermeiden. Die Verständlichkeit, im Sinne der Erinnerung an Inhalte, leidet darunter nachweislich nicht. 

Für die Vermeidung des generischen Maskulinums gibt es auch rechtliche Grundlagen. In der gemeinsamen Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung ist eine sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern festgehalten (GGO I, § 2 Abs. 2). Auch die Freie Universität Berlin hat sich 1990 mit dem Erlass der Frauenförderrichtlinien (FFR, § 29 Abs.2) zur Verwendung einer geschlechtsneutralen Sprache verpflichtet.

Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur „dritten Option“ 2017 ist das Bewusstsein für die reale Vielfalt von Geschlechtsidentitäten gewachsen. Geklagt hatte eine Person, die sich durch keinen der bisher rechtlich möglichen Personenstandseinträge („weiblich“ oder „männlich“) repräsentiert sah. Das Gericht stimmte der Klage zu und skizzierte entweder die vollständige Abschaffung des Geschlechtseintrags oder eine dritte Option des Geschlechtseintrags als verfassungsrechtlich zulässig. Diese müsse zwingend positiv sein, denn eine Leerstelle als Geschlechtseintrag (wie sie seit 2013 bei inter* Kindern bereits bis zum 18. Lebensjahr möglich ist) sei keine adäquate Lösung. Daraufhin wurde 2018 „divers“ als dritte Option des Personenstands für Menschen, die sich nicht weiblich oder männlich identifizieren, eingeführt. 

Dabei ist die Erkenntnis, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt, natürlich viel älter: Menschen, die sich als nicht-binär, trans* oder inter* identifizieren, weisen schon lange auf ihre Marginalisierung und Diskriminierung – nicht nur auf sprachlicher Ebene – hin. 

Durch den neuen Personenstand „divers“ ist im Alltag deutlicher geworden, was gendertheoretisch unter dem Fachbegriff „Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit“ verhandelt wird. Wenn wir alle Menschen aufgrund ihres Vornamens oder Aussehens als weiblich oder männlich einteilen, dann sind wir damit an der alltäglichen Herstellung der zweigeschlechtlichen Norm beteiligt. Diese Geschlechtskategorisierung äußert sich beispielsweise in der Anrede mit „Herr“ oder „Frau“ sowie in der Verwendung der Personalpronomen „er“ oder „sie“. Die Verunsicherung, die durch die neue Option „divers“ entstanden ist, stellt  zugleich eine große Chance für einen respektvollen Umgang miteinander dar. Sie verdeutlicht nämlich, dass wir aufgrund des Namens oder Aussehens von Personen überhaupt nicht auf ihre Geschlechtsidentität schließen können. Wenn Sie also nicht wissen, wie Ihr Gegenüber angesprochen werden möchte oder eine Gruppe von Menschen ansprechen, sind neutrale oder inklusive Formulierungen am besten geeignet.

Die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen durch sogenannte Beidnennung wie „Schülerinnen und Schüler“ oder Schüler/-innen, war eine wichtige geschlechterpolitische Forderung und hat zur Sensibilisierung für die Macht von Sprache beigetragen. Allerdings führt sie wiederum dazu, dass Menschen jenseits der zweigeschlechtlichen Norm unsichtbar gemacht und diskriminiert werden. Daher wird sie in der 'Toolbox Gender und Diversity in der Lehre' nicht mehr als Alternative zum generischen Maskulinum vorgestellt.