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Ergänzend zu den Vorschlägen zur Kompetenzerweiterung finden Sie hier einige Leitlinien einer gender- und diversitätsbewussten Lehre.
Diese setzen bei Ihrem Wunsch an, Gender und Diversität stärker in die Lehre einzubeziehen. Eine Haltung, die bestehende Probleme und Hierarchien kritisch wahrnimmt und verändern möchte, d.h. eine machtkritische Haltung, ist dabei Ausgangspunkt und zugleich Ziel dieser Leitlinien:

Bei gender- und diversitätsgerechter Lehre geht es um die Wahrnehmung der Verschiedenheit von Studierenden und Lehrenden, ohne dass diese Verschiedenheit Nachteile mit sich bringt, sowie um den Abbau von Diskriminierung und Ungleichheit. Anstatt Vielfalt abzuwerten, sollen die Stärken aller Beteiligten sichtbar werden.

Das AGG benennt zwar 6 Kategorien, nach denen nicht diskriminiert werden darf: „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Viele Institutionen nehmen außerdem noch die soziale Herkunft mit hinein. Letztlich sind es aber nicht die individuellen Merkmale oder Gruppenzugehörigkeiten von Personen, die zu Diskriminierung führen, sondern existierende sexistische, rassistische, klassistische u.a. Mechanismen in Hochschule und Gesellschaft, die diese Merkmale mit Bedeutung aufladen.

Der Unterschied zwischen diesen Perspektiven wird deutlich, wenn beispielsweise über erzwungene Emigration während des Holocausts nicht mehr geschrieben wird, dass Menschen Deutschland verlassen mussten, „weil sie Juden waren“, sondern wenn stattdessen formuliert würde, dass Menschen Deutschland „wegen des für sie immer gefährlicher werdenden Antisemitismus“ verlassen mussten (Quelle). Wenn Frau X bei Vorträgen nicht ernst genommen wird, liegt das nicht daran, dass sie eine Frau ist, sondern an verbreitetem Sexismus. Wenn Personen mit einem arabischen Namen oder mit dunkler Hautfarbe häufig aufdringlich nach ihrem Geburtsort gefragt werden, liegt das nicht an ihrer Hautfarbe oder ihrem Namen, sondern an rassistischen Vorstellungen von Herkunft und 'Deutsch-Sein'. Wenn eine Person, deren Eltern nicht studiert haben, geringere Chancen auf eine Professur hat, dann liegt das nicht am Bildungshintergrund dieser Person, sondern an elitären Strukturen der Karriereentwicklung.

Diese strukturellen Mechanismen sollen durch gender- und diversitätsgerechte Lehre bewusst gemacht, thematisiert und verändert werden, um möglichst allen aktuellen und zukünftigen Studierenden ein diskriminierungsfreieres Studium zu ermöglichen – unabhängig von „Merkmalen“, individuellen Erfahrungen und Gruppenzugehörigkeiten. Gender- und diversitätsbewusste Lehre beschäftigt sich daher nicht (nur) mit der Situation einzelner Studierender, sondern ganz besonders mit den strukturellen Bedingungen, die Diskriminierungs- und Ausschlusserfahrungen erst ermöglichen. Dies zeigt beispielsweise auch der Bericht 'Diskriminierungsfreie Hochschule' des Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Strukturelle Faktoren liegen oft außerhalb der Einflusssphäre von Lehrenden. Eigenes Handeln ist leichter zu ändern, wenn Sie einen Wunsch zur Auseinandersetzung und auch die zeitlichen und örtlichen Möglichkeiten dafür haben.


Weiteres dazu unter: Lehr- und Studieninhalte, Fachspezifische Zugänge



Version April 2017. Soweit nicht anders gekennzeichnet, ist dieses Werk unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz lizensiert.

Wenn Sie lehren, tun Sie das mit bestimmten Vorstellungen über Ihre Adressat*innen, die Studierenden. Sie haben z.B. Annahmen darüber, ob die Studierenden nicht- deutschsprachige Texte lesen und verstehen können; Sie gehen davon aus, dass bestimmte Vorkenntnisse vorhanden sind oder noch fehlen. Ebenso können Sie in Betracht ziehen, ob die Studierenden Rassismus-, Sexismus- oder andere Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, oder haben Vorannahmen über ihr durchschnittliches Alter.

Sie können dabei allerdings „nur sehr eingeschränkt einschätzen, wie die verschiedenen Studierenden ihrer Veranstaltung in Bezug auf Privilegierungen und Marginalisierungen in verschiedenen Machtverhältnissen positioniert sind“ (Goel 2016: 40).

Ihre Vorannahmen – ob Sie sich ihrer bewusst sind oder nicht – fließen in Ihr Lehrkonzept und die Interaktion in der Lehrveranstaltung ein, und entscheiden mit darüber, ob es 'aufgeht' oder nicht. Wenn Sie sich diese Annahmen bewusster machen, kann das zum 'Erfolg' Ihrer Veranstaltung beitragen. Es kann auch entscheidend dafür sein, dass Sie in der Veranstaltung bestimmte Vorurteile nicht vertiefen, und Ihre Lehre inklusiver und besser wird. Ihre Annahmen über ihre Zielgruppe gender- und diversitätsbewusst zu reflektieren, kann Ihnen dabei helfen, auf die Lernbedürfnisse und unterschiedlichen Erfahrungen der Studierenden besser einzugehen und die Studierenden gleichwertig und gerecht zu behandeln.


Weiteres dazu unter: Methoden
Literatur:

Goel, Urmila. 2016. Die (Un)Möglichkeit der Vermeidung von Diskriminierungen. In Diskriminierungskritische Lehre. Denkanstöße aus den Gender Studies, Hrsg. Geschäftsstelle des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universiät zu Berlin.



Version April 2017. Soweit nicht anders gekennzeichnet, ist dieses Werk unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz lizensiert.

Hochschulen sind rechtlich dazu verpflichtet, alle Studierenden gleich zu behandeln. Rechtliche Grundlage dafür sind das Grundgesetz sowie Bundes- und Landesgesetze. Das Gebot der Gleichbehandlung ist eng verbunden mit dem Anspruch, Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit in Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe und Erfahrungen zu gewährleisten. Gesellschaftliche Ungleichheiten und Machtverhältnisse machen vor den Türen der Universität nicht Halt und betreffen Studierende unterschiedlich. Gerechtigkeit kann deshalb nicht bedeuten, von den unterschiedlichen Erfahrungen und Ausgangspunkten der Studierenden abzusehen und eine 'Normbiografie' zur Grundlage von Lehre zu machen, an der sich alle Studierenden ausrichten müssen. Eine gleichwertige und gerechte Behandlung erfordert daher in Übereinstimmung mit Art. 3(2) GG unter Umständen auch, durch gezielte Maßnahmen „auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin[zuwirken]“. Es geht also nicht um absolute Gleichbehandlung, sondern um relational gerechte Behandlung (die manchmal auch differenzierte Maßnahmen beinhalten kann) mit dem Ziel der Herstellung von Gleichberechtigung. Dazu gehört, Studierende in ihren individuellen Lernbedürfnissen und Biografien in gleicher Weise ernst zu nehmen und zugleich anzuerkennen, dass sie häufig von gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen betroffen sind, die sich auf ihren Alltag ganz konkret auswirken.

Eine Lehre, die mit dem Spannungsverhältnis von Gleichheit und Gerechtigkeit unter Gesichtspunkten von Gender und Diversity umgeht, geht nicht davon aus, dass „die Frauen“, „die Studierenden mit Migrationserfahrung“ oder „die Maschinenbaustudierenden“ identische Interessen und Erfahrungen haben, sondern nimmt die Studierenden als eigenständige Personen ernst. Gleichzeitig sollen in gender- und diversitätsbewusster Lehre machtförmige strukturelle Ungleichheiten zwischen gesellschaftlichen Gruppen von Studierenden wahrgenommen werden, um ihnen entgegen zu wirken – z.B. zwischen männlichen und weiblichen Studierenden, Studierenden mit deutschem Pass und Studierenden mit anderer Staatsangehörigkeit.

Für Lehrende bedeutet das, Gleichheit und Gerechtigkeit nicht als Selbstverständlichkeit anzunehmen, sondern ihre Herstellung zugleich als didaktisches Ziel und als Voraussetzung für gute Lehre zu begreifen. Dazu gehört, Maßnahmen zu treffen, die eine gute Studienumgebung für alle ermöglichen. Auf didaktischer Ebene könnten das – ggf. in Absprache mit den zuständigen Stellen, z.B. den Studien- und Prüfungsbüros der Fachbereiche und Einrichtungen der Beratung für Studierende mit BeHinderungen und chronischen Erkrankungen – flexible gleichwertige Prüfungsformen und Anwesenheitsregelungen sein. Genauso wichtig ist aber eine Seminarkommunikation, die möglichst unterschiedliche Erfahrungen und wissenschaftliche Perspektiven einbezieht und sich von stereotypen Darstellungen verabschiedet. Anregungen dazu finden Sie unter Ressourcen.


Weiteres dazu unter: Starterkit Sprache, Ressourcen



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Um etwas gegen Diskriminierung tun zu können, muss sie zunächst wahrgenommen und als Problem verstanden werden – gerade von denjenigen, die nicht unmittelbar durch sie betroffen sind. Für den Bereich Hochschule existieren hier diverse Studien und Erfahrungsberichte, etwa zu Rassismus, Trans*feindlichkeit oder Sexismus in der Hochschule und am Arbeitsplatz.

Wenn Studierende aufgrund von aufenthaltsrechtlichen Regelungen Probleme mit der Vereinbarkeit von Studium und Erwerbsarbeit bekommen, wenn Lehrende konsequent nur die männliche Sprachform benutzen, wenn in Referaten koloniale Bezeichnungen verwendet werden, im Labor Kommilitonen sexistische Kommentare machen, oder in der ganzen Hochschule keine geschlechtsneutralen Toiletten vorhanden sind, ist dies nicht nur das Problem oder die besondere „Empfindlichkeit“ einzelner Studierender, sondern weist auf ausschließende Strukturen hin, die auch dann existieren, wenn sich niemand darüber „beschwert“. Nur wenn diese Erfahrungen ernst genommen werden, kann etwas dagegen getan werden, dass Studierende aufgrund von Diskriminierung ihr Studium abbrechen oder nach dem ersten Abschluss die Hochschule verlassen.

In Fällen von Diskriminierung sollten Betroffene nicht schweigen, sondern sich an Vertrauenspersonen, Interssensvertretungen oder Anlaufstellen wenden. Auch Lehrende, die von solchen Fällen erfahren oder selbst Beratungsbedarf haben, können sich an diese Stellen wenden. Durch eigenes Verhalten, klare Ansagen, eine diskriminierungsbewusste Kommunikation und Inhaltsgestaltung kann ein Rahmen geschaffen werden, in dem Diskriminierung eher wahrgenommen und ihr entgegengearbeitet wird. Studierende wie Lehrende, die Diskriminierung erfahren und/oder ihr entgegenwirken wollen, können sich zudem am Fachbereich oder auf Hochschulebene miteinander venetzen.


Weiteres dazu unter: Starterkit Sprache, Lehr- und Studieninhalte, Ressourcen
Literatur:

Crenshaw, Kimberlé. 1989. Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. University of Chicago Legal Forum 1: 139–167.

Crenshaw, Kimberlé. 1991. Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. Stanford Law Review 43: 1241–1299.

Czock, Heidrun, Dominik Donges, und Susanne Heinzelmann. 2012. Diskriminierungsfreie Hochschule - Mit Vielfalt Wissen schaffen. Endbericht zum Projekt. Hrsg. Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin.

Kuria, Emily Ngubia, Hrsg. 2015. eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. 1. Aufl. Berlin: w_orten & meer.

Sauer, Arn, und Jannik Franzen. 2010. Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben. Berlin.



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Studierende sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse. Um ein gutes Studium für alle zu gewährleisten, muss die Hochschule diese unterschiedlichen Bedürfnisse ernst nehmen. Dies kann zum Beispiel durch Regelungen geschehen, die nicht von einer einheitlichen Norm ausgehen, sondern Unterschiedlichkeit zulassen. Beispielsweise sind sowohl Studierende, die auf Erwerbsarbeit angewiesen sind, Familienverpflichtungen haben, oder die Wege auf dem Campus im Rollstuhl oder auf Krücken zurücklegen, in besonderer Weise darauf angewiesen, dass ihr Stundenplan mit ihrer sonstigen Lebensplanung in Einklang gebracht werden kann. Flexible Regelungen, etwa vorgezogene Seminaranmeldungen, deutlich längere An- und Abmeldefristen oder ein niedrigerer Betreuungsschlüssel bei gleichbleibender Angebotsdichte könnten hier weiterhelfen.

Nicht jede Strategie, die gewählt wird, um die Ungleichbehandlung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zu beenden, muss für alle Mitglieder dieser Gruppe in gleicher Weise sinnvoll sein. Dies hängt mit der Intersektionalität von Diskriminierung und Ungleichheit zusammen. Aktivitäten, die einen Schwerpunkt etwa auf ein paritätisches Geschlechterverhältnis legen, sollten prüfen, ob die Förderanstrengungen für alle Frauen – und nicht nur für einige wenige – hilfreich sind.

Sie als Dozent*in könnten beispielsweise bei der Arbeit mit Biographien von Wissenschaftler*innen darauf achten, dass Sie dabei vielfältige Frauenbiographien verwenden, und etwa auch Beiträge von nicht-europäischen Frauen mit einbeziehen. Mittlerweile gibt es – gerade auch in den Naturwissenschaften – viel Material, dass für Studierende eine größere Bandbreite von Lern- und Identifikationsangeboten bereithält.


Weiteres dazu unter: Fachspezifische Zugänge

Literatur:

Collins, Patricia Hill, und Valerie Chepp. 2013. Intersectionality.

Walgenbach, Katharina. 2014. Heterogenität - Intersektionalität - Diversity in der Erziehungswissenschaft. 1. Aufl. Stuttgart: UTB



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In Fachkulturen spiegeln sich gesellschaftliche Normen wider, oftmals ohne dass wir uns dessen bewusst sind. So können Fachkulturen vergeschlechtlicht sein (z.B., indem es klar getrennte männlich oder weiblich konnotierte Tätigkeitsbereiche gibt), oder aus einer ausschließlich europäischen Perspektive auf ihre Gegenstände blicken. Erscheinen diese Blickwinkel als einzig mögliche, objektive und wahre Zugänge zum Thema, ist das entstehende Wissen weniger multiperspektivisch als es möglich wäre, die Gefahr eines verengten Blickfeldes nimmt zu.

Eine intersektionale gender- und diversitätsbewusste Lehre ermuntert Studierende, gewohnte Perspektiven zu erweitern, kritisch zu reflektieren oder ggf. auch zu verlassen, und sich wissenschaftlichen Fragen und Gegenständen aus anderen, nicht weniger wissenschaftlichen Blickwinkeln zu nähern.

Beispielfragen für eine solche Herangehensweise wären: Welche Autor*innen und Forschende gehören zum Kanon eines Faches? Welche nicht? Warum bzw. seit wann ist das so? Lassen sich bekannte Autor*innen / Forschende einer kritischen Neulektüre unterziehen, die deutlich macht, wie sie zu ihren Standpunkten und Ergebnissen gekommen sind, in welche Machtverhältnisse oder Interessenkonflikte sie verstrickt sind, und wie ihr Wissen historisch Eingang in weitere gesellschaftliche Bereiche gefunden hat? 'Haben' technische Innovationen ein Geschlecht, eine Hautfarbe, eine soziale Klasse? Wie lassen sich wissenschaftliche Kontroversen um bestimmte Themen historisch nachvollziehen? Wie entstehen (und vergehen) wissenschaftliche Paradigmen? Welche Forscher*innen hatten Anteil an der Entwicklung heute relevanter Theorien oder bahnbrechender Erfindungen - und werden sie ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt? Welche Erkenntnisse ergeben sich, wenn eine andere Perspektive eingenommen wird, und in welchem Verhältnis stehen 'neues' und 'bekanntes' Wissen zueinander?


Weiteres dazu unter: Fachspezifische Zugänge
Literatur und Links:

Bath, Corinna. 2015. De-Gendering informatischer Artefakte.

Dhawan, Nikita. 2014. Decolonizing enlightenment: transnational justice, human rights and democracy in a postcolonial world. Opladen [u.a.]: Budrich.

Matsuda, Mari J. 1991. Beside My Sister, Facing the Enemy: Legal Theory out of Coalition. Stanford Law Review 43: 1183–1192.

Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript Verlag.



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Gender- und diversitätsbewusste Lehre hat zum Ziel, bestehende Ungleichheiten und Diskriminierung im Kontext Hochschule zu überwinden. Sich mit Ungleichheiten zu beschäftigen, bringt es mit sich, diese auch zu benennen – nur so kann ihnen an bestimmten Stellen entgegengearbeitet werden. Hier gilt es, eine gute Balance zu finden: Auf der einen Seite soll Diskriminierung benannt werden, z.B. die Unterrepräsentanz von Frauen, People of Colour oder Menschen mit sichtbaren BeHinderungen an wichtigen Schaltstellen in Wirtschaft, Politik und in der Hochschule. Auf der anderen Seite sollte dabei nicht der falsche Eindruck entstehen, dass diese Ungleichheiten unveränderlich seien, oder dass Personen, die von Diskriminierung betroffen sind, ein individuelles Defizit hätten oder besondere Hilfestellungen bräuchten. Es geht nicht um besondere Begünstigungen, sondern um Nachteilsausgleich, positive Maßnahmen und den gezielten Abbau von benachteiligenden Strukturen.

Positive Maßnahmen für Einzelne gegen Ungleichheiten – geht das denn? Ja, denn es geht darum, Gleichberechtigung zu verwirklichen. Grundlage dafür bietet der Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Dort heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Das AGG verbietet Diskriminierung auf Grundlage „der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Nach AGG §5 sind positive Maßnahmen ausdrücklich erlaubt.

So „ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile […] verhindert oder ausgeglichen werden sollen“ (Klose 2010:25). Bei Maßnahmen zur Durchsetzung von Gleichberechtigung und zur Beseitigung von Nachteilen handelt es sich also gerade nicht um besondere individuelle „Vergünstigungen“ oder „Hilfestellungen“, und auch nicht um eine Benachteiligung oder fälschlicherweise so benannte „positive Diskriminierung“ (Boell 2010). Positive Maßnahmen dürfen auch präventiv angewendet werden, mit dem Ziel von „Chancengerechtigkeit, die Hürden aus dem Weg räumen und das Aufstellen weiterer Barrieren verhindern soll“ (Baer 2010: 11/12).

„Frauen zu fördern“, „Menschen mit Migrationshintergrund zu ermutigen, ein Studium aufzunehmen“, „Menschen mit BeHinderung Hilfe bei der Erreichbarkeit von Türöffnern“ zur Verfügung zu stellen, Toiletten anzubieten, die unabhängig von vermeintlich eindeutigen Geschlechtszugehörigkeiten genutzt werden können – das alles ist kein Selbstzweck, sondern es geht darum, Abläufe der Hochschule so umzugestalten, dass beispielsweise Frauen die Qualifikationsschritte abschließen können, die sie anstreben; Jugendliche mit Migrationsgeschichte erfahren, dass sie an Hochschulen gewollt sind; Gebäude so geplant werden, dass alle Wege mit und ohne Rollstuhl gut zurückgelegt werden können, und Sanitäranlagen bereitstehen, die von allen benutzt werden können. Menschen, die Diskriminierungen erleben, sind dabei keine stummen Betroffenen, für die großzügig etwas getan werden muss. Sie stellen berechtigte Forderungen und verfügen über Wissen und Handlungsmöglichkeiten.

Die Gesetzlichen Grundlagen für Gleichstellung in Bezug auf Gender und Diversity finden Sie unter Ressourcen.


Literatur und Links:

Baer, Susanne. 2010. Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen: Grundprobleme des Antidiskriminierungsrechts. In Positive Maßnahmen. Von Antidiskriminierung zu Diversity. Dossier, Hrsg. Heinrich Böll Stiftung, 11–20.

Klose, Alexander. 2010. Mehr Verbindlichkeit wagen – Positive Pflichten zu Positiven Maßnahmen. In Positive Maßnahmen. Von Antidiskriminierung zu Diversity. Dossier, Hrsg. Heinrich Böll Stiftung, 21–28.

Rahmenstudien- und Prüfungsordnung der FU (RSPO) / § 11 (Nachteilsausgleich).

Rechtliche Grundlagen von Gleichstellungsarbeit.



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Eine gender- und diversitätsbewusste Lehre kann Gender und Diversity sowohl implizit als auch explizit thematisieren. Unter Lehr- und Studieninhalte und Methoden werden für beide Zugänge Anregungen gegeben.

Grundsätzlich gilt - besonders für eine explizite Thematisierung: Studierende - und auch Lehrende selbst – sind meistens in unterschiedlicher Weise von Ungleichheit und Diskriminierung betroffen: Neben Studierenden, die noch nie rassistische oder sexistische Diskriminierung erlebt haben, sitzen andere, für die dies Alltag ist, und vielleicht auch solche, die sich daran bewusst oder unbewusst aktiv beteiligen. Einige Studierende und Lehrende wissen, welche Barrieren es gibt, weil sie damit andauernd konfrontiert sind, andere nicht. Einige gehen täglich noch mehrere Stunden einer Erwerbstätigkeit nach oder jobben die gesamten Semesterferien hindurch, andere haben früher Feierabend, können in dieser Zeit Sprachkurse besuchen, verreisen, oder sich intensiv auf Prüfungen vorbereiten.

Dabei gilt, dass „nicht alle Marginalisierungen/Privilegierungen für Dritte – und damit auch nicht für Lehrende – wahrnehmbar sind.“ (Goel 2016:40).

Studierende sollten allerdings nicht dazu gebracht werden, diese Positionierungen – vor allem Marginalisierungserfahrungen – gegen ihren Willen öffentlich zu machen.

Aus diesen unterschiedlichen Positionen ergeben sich unterschiedliche Zugänge zum Thema, und oft auch unterschiedliche Bedürfnisse und Fragen. Während die einen sich vielleicht gerne mit anderen austauschen würden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wollen andere sich gar nicht mit dem Thema beschäftigen. Wieder andere sind neugierig und befassen sich erstmals mit erlebter Diskriminierung und Ungleichheit. Studierende, die Diskriminierung selbst erleben, möchten auf neugierige Fragen aber möglicherweise nicht antworten, weil sie diese sehr häufig hören. Für die einen bedeutet eine Auseinandersetzung mit Gender und Diversity je nach konkretem Thema, handlungsfähiger zu werden und sich evtl. besser gegen Diskriminierung wehren zu können. Für andere bedeutet es, sich mit eigenen Verstrickungen in Machtverhältnisse und mit einer Verunsicherung liebgewonnener Gewissheiten auseinanderzusetzen.

Gender- und diversitätsbewusste Lehre bedeutet, ein Gespür dafür zu entwickeln, wo die jeweiligen Bedürfnisse, aber auch Grenzen von Studierenden sind.
Dabei ist es wichtig, transparent zu machen, dass eine Änderung von Verhaltensweisen, die diskriminierend sind, häufig erfordert, sich temporär aus der eigenen „Komfortzone“ (Adams et al. 2007) heraus zu bewegen. Eine gute Hilfestellung für den Umgang mit diesem Spannungsverhältnis ist z.B. die Seminarvereinbarung. Sie kann erleichtern, Diskriminierung und Rollenverhalten zu thematisieren, ohne die Stereotype zu wiederholen, die kritisch thematisiert werden sollten. Das Konzept der Fehlerfreundlichkeit adressiert diese Schwierigkeit.

Für Lehrende kann dies bedeuten, bestimmte Studierende zu ermutigen, aus Rollen auszubrechen und mehr Raum einzunehmen, sich etwa in Arbeitsgruppen stärker als bisher zu beteiligen, eigene Ergebnisse zu präsentieren, oder sich nicht unterbrechen zu lassen. Andere Studierende können sie deutlicher ermutigen, die Grenzen ihrer Kommiliton*innen stärker als bisher wahrzunehmen, weniger dominante Rollen einzunehmen, andere ausreden zu lassen, oder bei Gruppenarbeiten auch die notwendigen Hintergrundtätigkeiten zu übernehmen. Was die jeweils „passende“ Strategie ist, ist abhängig vom konkretem Thema und den entsprechenden Positionierungen der Studierenden dazu.

Das Angebot 'Intersektional lehren' des Margherita-von-Brentano-Zentrums kann bei diesen Fragen weiterhelfen, ebenfalls kann es hilfreich sein, sich mit anderen Lehrenden zu vernetzen, und die eigenen vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen dafür zu nutzen, Diskriminierung und ungleichen Machtverhältnissen an der Hochschule etwas entgegen zu setzen.

Ein Rezept und die Methode, die für alle Lehrenden und Studierenden gleichermaßen geeignet ist, gibt es nicht. Einen praktischen Umgang mit dieser Herausforderung zu finden, gehört zum Prozess des Erwerbs von Gender- und Diversitykompetenz – für Lehrende wie für Studierende. Sinnvoll ist in jedem Fall eine sorgfältige Vor- und Nachbereitung von Methoden oder Lehrveranstaltungen, z.B. entlang der Methodenplanung und -auswertung.


Literatur:

Adams, Maurianne, Lee Anne Bell, und Pat Griffin, Hrsg. 2007. Teaching for diversity and social justice. 2. ed. New York [u.a.]: Routledge.

Czollek, Leah Carola, Gudrun Perko, und Heike Weinbach. 2012. Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen. Weinheim; Basel: Beltz Juventa.

Goel, Urmila. 2016. Die (Un)Möglichkeit der Vermeidung von Diskriminierungen. In Diskriminierungskritische Lehre. Denkanstöße aus den Gender Studies, Hrsg. Geschäftsstelle des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universiät zu Berlin.

Rosenstreich, Gabriele. 2006. Von Zugehörigkeiten, Zwischenräumen und Macht. Empowerment und Powersharing in interkulturellen und Diversity-Workshops. In Spurensicherung – Reflexion von Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft, Hrsg. Gabi Elverich, Annita Kalpaka, und Karin Reindlmeier, 195–231. Frankfurt am Main: Iko-Verlag Berlin.

Rosenstreich, Gabriele. 2007. The Mathematics of Diversity Training: Multiplying Identities, Adding Categories and Intersecting Discrimination. In Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft, Hrsg. Anne Broden und Paul Mecheril, 131–160. Düsseldorf: IDA-NRW.



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Traditionelle Muster und Rollen (z.B. Geschlechterstereotype) in der Lehre reproduzieren sich auf verschiedenem Wege, auf bewusste und unbewusste Weise. Beispiele für Stereotype und Diskriminierung sind:

  • Diskriminierende Sprache und Auswahl von Bildern, anderen Lernmaterialien und Studieninhalten
  • Stereotyp vergebene Arbeitsaufträge
  • Unterschiedliche Anerkennung für gleiche Leistungen
  • Ungleich verteiltes Zutrauen und Unterstützung
  • Ungleich gegebene finanzielle und zeitliche Ressourcen, z.B. beim Zugang zur Promotion
  • Keine Möglichkeit der Kompensation von Härtefällen,  z.B. für Nicht-EU-Studierende in Bezug auf das Aufenthaltsrecht.
  • Seltenere Einbindung in Informationsnetzwerke
  • unterschiedlich gewichtete Empfehlung an potentielle Auftraggeber*innen
  • Intransparenz von mit wissenschaftlicher Karriere verbundenen Prozessen

Die Liste könnte noch fortgesetzt werden.

Dabei ist diese Ungleichbehandlung den Lehrenden selbst oft nicht bewusst: So zeigen schon Studien aus den 1980er Jahren, dass es bei Lehrenden, die gebeten wurden, ihre Aufmerksamkeit zwischen Mädchen und Jungen gleichmäßig zu verteilen, einen eklatanten Unterschied zwischen Selbstwahrnehmung (Mädchen werden bevorzugt) und objektiver Messung (Mädchen erhielten weiterhin weniger Aufmerksamkeit als Jungen) gibt.

Auch eine Studie aus den 2000ern (Münst 2005) kommt zu dem Ergebnis, dass Dozierende – ohne dies bewusst zu tun - in vergleichbaren Lehrsituationen

  • unterschiedlich auf weibliche und männliche Studierende reagierten,
  • für Studenten und Studentinnen unterschiedliche Rahmenbedingungen herstellten,
  • vereinbarte Vorgehensweisen geschlechtsabhängig modifizierten,
  • geschlechtsabhängig einseitige Vergleiche zogen oder auf Vergleiche verzichteten,
  • Studentinnen als Wissensreserve genutzt wurden, deren Leistungen jedoch nicht angemessen honorierten.

Es ist davon auszugehen, dass diese Befunde für die Kategorie Geschlecht auch auf andere Kategorien (wie Rassismus oder Abwertung beHinderter Personen) übertragen werden können. Die Reflexion der eigenen Lehrkommunikation kann helfen, unbewusste Ungleichbehandlung zu verlernen.


Literatur:

Czock, Heidrun, Dominik Donges, und Susanne Heinzelmann. 2012. Diskriminierungsfreie Hochschule - Mit Vielfalt Wissen schaffen. Endbericht zum Projekt. Hrsg. Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin.

Frank, Karsta. 2011. [1992] Sprachgewalt: Die sprachliche Reproduktion der Geschlechterhierarchie, Elemente einer feministischen Linguistik im Kontext sozialwissenschaftlicher Frauenforschung. Berlin, Boston: De Gruyter

Münst, Agnes Senganata. 2005. Lehrstrukturen in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studienfächern und die Herstellung der Geschlechterhierarchie in Lehrprozessen. In Naturwissenschaft und Technik - (k)eine Männersache. Aktuelle Studien zur Förderung des weiblichen Nachwuchses in Naturwissenschaft und Technik, Hrsg. Diana Steinbrenner, Claudia Kajatin, und Eva-Maria Mertens, 103–112. Rostock: Koch.

Münst, Senganata. 2008. Hierarchie, Fachkompetenz und Geschlecht in Lehrveranstaltungen: Ergebnisse einer ethnographischen Teilnehmenden Beobachtung. In Perspektiven der Hochschulforschung, Hrsg. Karin Zimmermann, Marion Kamphans, und Sigrid Metz-Göckel, 179–196. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.



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Immer wieder kommt es vor, dass Studierende als 'besonders' – und damit als nicht der Norm entsprechend herausgestellt werden. Die geschieht, indem ihnen eine 'exotische' Herkunft, außergewöhnliche Bedürfnisse oder Fähigkeiten oder grundlegende Andersartigkeit unterstellt und in den Mittelpunkt gerückt wird. Dabei ist es egal, ob diese herausgestellten Eigenschaften positiv oder negativ bewertet werden. In den meisten Fällen geht das 'Anders-Machen', das Ausnehmen Einzelner von einer allgemeinen Norm, jedoch mit einer Abwertung der 'Anderen' und mit der Aufwertung der Eigengruppe einher. Diesen Prozess nennt man auch "Othering“.

In der Lehre kann darauf geachtet werden, möglichst kein Othering passieren zu lassen. Sie können beispielsweise darauf verzichten, Studierende in einer von Ihnen angenommenen Identität zu adressieren, oder ihre Herkunft, ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Orientierung in besonderer Weise herauszustellen. Dies wird erleichtert, wenn Sie – unterstützt vom universitären Umfeld – von einer vielfältigen Norm ausgehen, in der Verschiedenheit normal ist.

In Workshops oder kollegialer Beratung können Sie ein solches didaktisches Handeln einüben. Die Methodenreflexion gibt hier ebenfalls Anhaltspunkte.


Weiteres dazu unter: Starterkit, Methoden

Literatur:

Beauvoir, Simone de. 1995. Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau. 29.-32. Tsd. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Eggers, Maureen Maisha. 2005. Rassifizierte Machtdifferenz als Deutungsperspektive in der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland. Zur Aktualität und Normativität diskursiver Vermittlungen von hierarchisch aufeinander bezogenen rassifizierten Konstruktionen. In Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Hrsg. Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, und Susan Arndt. Münster: Unrast Verlag.

Said, Edward W. 2009. Orientalismus. Frankfurt am Main: Fischer.



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Eine diskriminierungsfreie Hochschule und eine gender- und diversitätsbewusste Lehre können Sie als Dozent*in mitgestalten – sie sind aber nicht alleine dafür verantwortlich. Sie können eigene Handlungsspielräume wahrnehmen und erweitern. Sie sollten aber mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden. Die Beratungsangebote der Berliner Universitäten und ausseruniversitärer Träger finden Sie in den Ressourcen.

Um Angebote zu schaffen, die Sie benötigen, die es aber noch nicht gibt, können Sie gemeinsam mit Kolleg*innen an den Fachbereichen Anfragen dazu stellen und sich vernetzen. Denkbar wären hier Angebote, in denen sich - auch ohne Leistungsdruck - über Erfahrungen und Herausforderungen ausgetauscht werden kann, und in denen kollegiales, informiertes und gender- und diversitätsbewusstes Feedback möglich ist.



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Professionelles Handeln, gerade in Kontexten, sie sich kritisch mit sozialen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen auseinandersetzen, ist damit konfrontiert, diese Verhältnisse zu benennen, um sie anschließend bearbeiten zu können, darauf weist Urmila Goel hin. Nur wenn Menschen sich ihrer Unwissenheit, Vorurteile und Ressentiments bewusst werden, besteht die Chance, diese zu verändern. Dies geschieht jedoch fast immer auch in Anwesenheit von Menschen, die direkt von diesen Ressentiments betroffen sind.


Bei der Idee der Fehlerfreundlichkeit geht es darum, sowohl „nicht reversible negative Ergebnisse“ (Goel 2016:42) für diejenigen weitestgehend zu vermeiden, die Ausgrenzung und Diskriminierung selbst erfahren. Es bedeutet aber auch, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten für alle Anwesenden zu schaffen – wobei alle wissen (müssen), dass es dabei zur Reproduktion von Machtverhältnissen kommt, und „Äußerungen verletzen können, auch dann, wenn dies nicht intendiert ist“ (ebd.: 43). In solchen Lehrsituationen sollten „jene, die durch die Reproduktion von Machtverhältnissen ausgegrenzt wurden, mit diesen nicht allein gelassen werden. Sie sollten erleben, dass diese Reproduktionen thematisiert und bearbeitet werden“ (ebd.). Weiter argumentiert sie, dass „[gleichzeitig] die Thematisierung und Bearbeitung der Reproduktion von Machtverhältnissen in einer Form erfolgen soll, die es auch jenen, die sie reproduziert haben bzw. die nicht verstehen, wo das Problem liegt, ermöglicht, dazu zu lernen. Ihnen sollen die Konsequenzen der Reproduktion von Machtverhältnissen deutlich gemacht werden, damit sie in Zukunft besser darauf achten können, Reproduktionen zu vermeiden. Diese Ziele der Fehlerfreundlichkeit stellen große Herausforderungen an die Lehrenden dar.“ (ebd.).

Diese Herausforderung zeigt, dass es nicht zuletzt wichtig ist, als Lehrende eigene Grenzen ernst zu nehmen. Auch die Grenzen einer vornehmlich didaktischen Herangehensweise an Diskriminierung und Ungleichheit werden hier deutlich: Es braucht flankierende, unterstützende Maßnahmen und Bemühungen auf allen Ebenen der Hochschule.


Literatur:

Goel, Urmila. 2016. Die (Un)Möglichkeit der Vermeidung von Diskriminierungen. In Diskriminierungskritische Lehre. Denkanstöße aus den Gender Studies, Hrsg. Geschäftsstelle des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universiät zu Berlin.



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Zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht manchmal eine recht große Lücke, die Sie als Dozent*in nicht überbrücken können. Sie können jedoch versuchen, sie wahrzunehmen und auszuhalten. Diskriminierungsfreiheit funktioniert dann als positive Norm, die zwar nie vollständig umgesetzt werden kann, aber dennoch handlungsleitend ist. Gerade angesichts hoher zeitlicher Belastungen sowie struktureller und auch außerhalb der Lehre existierender Ungleichheiten, steht professionelles pädagogisches Personal manchmal vor dem Paradox, sich gegen genau die Bedingungen wenden zu wollen, deren Teil es ist.

Hier empfiehlt der Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril die von ihm „spöttisch“ so genannte „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Sie verweist darauf, dass „keine „einfachen“, rezeptologisch erfassbaren professionellen Handlungszusammenhänge vorhanden sind: Professionelles Handeln ist darauf angewiesen, in ein grundlegend reflexives Verhältnis zu dem eigenen professionellen Handeln, seinen Bedingungen und Konsequenzen treten zu können. Damit dies nicht schlicht zu einer Norm individuellen Handelns erklärt wird, heißt dies: Schaffung von Strukturen professionellen Handelns, in denen Reflexion nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll sowie attraktiv ist und systematisch unterstützt wird. Die Reflexion bezieht sich in einer besonderen Weise auf die Grenzen professionellen Handelns, seine Einflusslosigkeit und seine paradoxen und problematischen Neben- und Hauptfolgen.“ (Mecheril 2008: 25)

Dort, wo noch keine solchen nachhaltigen Strukturen zum kollegialen Austausch bestehen, können Sie als Dozent*in darauf hinwirken, dass diese eingerichtet werden.


Literatur:

Mecheril, Paul. 2008. „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen. In Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität,Hrsg. Georg Auernheimer, 15–35. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.



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Gesetze:

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.